In der Hinterlassenschaft meiner 2008 verstorbenen Schwester Lisbeth fand ich ein dickes Bündel von Feldpostbriefen aus dem zweiten Weltkrieg. Die Briefe stammen von 16 verschiedenen Personen, von Angehörigen und von Freunden unserer Familie, von Freunden meiner Schwester wie auch von einigen Leuten, deren Namen wie auch deren späteres Schicksal mir unbekannt waren.
Aus Nachkriegserzählungen konnte ich manche Ereignisse anhand der Briefe mit den richtigen Personen in Verbindung bringen und natürlich wusste ich, wer aus dem Krieg zurückgekommen oder gefallen war oder wer verwundet wurde. Obwohl, wie ich weiß, einige der Briefschreiber in Gefangenschaft geraten waren, war kein Schreiben aus einem Gefangenenlager dabei.
Erstaunlich war für mich, dass nur zwei der 16 Frontsoldaten offensichtlich NS-ideologisiert waren, beide Akademiker – die einzigen in der Gruppe – Offizier der eine, der andere Kriegsberichterstatter. Nur ein einziger schrieb von seiner Verwundung (möglicherweise ist dies auf die Zensur zurückzuführen). In keinem der Briefe wurde zum erschreckenden Kriegsalltag Bezug genommen, fast alle Schreiben erzählen zutiefst berührend von Familiensehnsucht und Heimweh, von Beziehungsirritationen, von Eifersucht, Einsamkeit, von Vorkriegserinnerungen. Jahreszeiten waren oft prägend für die individuelle Verfassung: … Bei euch wird jetzt schon alles blühen … oder meine zweiten Weihnachten im Bunker, hier im Norden…. Realitätsfern und mit bescheidenen Mitteln versuche ich mit meiner Feldpostbetrachtung jenen Leuten, die in dem unfassbaren Grauen, das mir zum Glück nur aus lange zurückliegenden Schilderungen und durch Zeitdokumentationen bekannt ist, involviert und gefangen waren, eine Erinnerung zu geben.
- Anton Christian